In zarten, fast zögerlich verlaufenden Bleistiftlinien ist ein Bergmassiv dargestellt, in dessen Zentrum ein mit kräftigem Strich gezeichneter gestufter Tempelturm, eine sogenannte Zikkurat, zu erkennen ist. Dieser Gebäudetypus gleicht in seiner Form einem Berg mit Treppen, die zum Gipfel führen. Er versinnbildlicht damit die Sehnsucht des Menschen, das Irdische zu verlassen und Kontakt mit dem Göttlichen aufzunehmen. Unterhalb der Zikkurat und optisch weiter im Vordergrund ist ein vertikales, stellenweise mit gelber Farbe hervorgehobenes Rechteck zu sehen, das eine Tür, ein Tor oder einen Eingang zum Inneren des Bergmassivs darstellt.
Im gleichen Jahr, in dem Wolfgang Laib diese Zeichnung anfertigt, erfüllt sich für ihn sein lang gehegter Wunsch, im Massif du Canigou in den französischen Pyrenäen in einem Berg einen Raum zu schaffen und mit Wachs auszukleiden.
Den Titel der Zeichnung – »La chambre des certitudes« (dt.: »Das Zimmer der Gewissheiten«) – hat Laib mittig unterhalb seiner Zeichnung notiert. Er bezieht sich damit einerseits auf den genannten Wachsraum, andererseits auf die Natur als einen Ort, an dem sich für ihn der Mensch als Teil eines übergeordneten Ganzen im Sinne einer zeitlosen kosmischen Ordnung erfahren kann. Laibs Daseinsauffassung ist von fernöstlicher Philosophie geprägt.
Werkdaten
- Inventarnummer: 2003-013
- Material / Technik: Wachskreide und Bleistift auf Papier
- Creditline: Kunstmuseum Stuttgart